Vier Läufer im „Sub-30-Club“: Sidenstein, Heinbach, Loos, Müller

Die besten vier Siegerländer 10.000-Meter-Läufer (von links): Tim-Arne Sidenstein, Ralf Heinbach, Michael Loos und Dieter Müller erinnern sich noch in allen Einzelheiten an ihre Rekordrennen. ©Fotos: Frank Steinseifer

Siegen-Wittgenstein. Die 10.000 Meter sind die längste olympische Leichtathletik-Distanz im Stadionoval. Was der Marathon auf der Straße, sind diese 25 400-Meter-Laufrunden auf der Bahn als Königsdisziplin der Langstreckenläufer. Wem es gelingt, die 30-Minuten-Marke zu unterbieten, gehört hierzulande zur absoluten Spitze im Hochleistungssport. In der Geschichte der heimischen Leichtathletik gelang es bislang nur vier Siegerländer Läufern, diese Barriere zu durchbrechen. Auch Jahrzehnte später erinnern sich Tim-Arne Sidenstein, Ralf Heinbach, Michael Loos und Dieter Müller noch in allen Einzelheiten an ihre Rekordrennen.

Es gibt viele unvergessene Momente in der Geschichte der Leichtathletik. Immer wieder haben Sportler bis dato Unvorstellbares erreicht und Grenzen des Machbaren verschoben. So war James Ray „Jim“ Hines der erste Mensch, der die 10-Sekunden-Schallmauer über 100 Meter durchbrach. In der „Night of Speed“ am 20. Juni 1968 in der kalifornischen Hauptstadt Sacramento lief der Sprinter bei den US-Trials in 9,9 Sekunden als erster unter die magische Marke. Noch weitaus denkwürdiger war der Jahrhundertweitsprung des US-Amerikaners Bob Beamon, der bei den Olympischen Spielen 1968 in der Höhe von Mexico bei sagenhaften 8,90 Meter landete – eine Weite, die damals für unmöglich gehalten wurde.

Als Roger Bannister die Meile unter vier Minuten lief

Für die Mittel- und Langstrecke ist aber ein noch weiter zurückliegendes Ereignis in die Sportgeschichte eingegangen. Es war der 6. Mai 1954. Eigentlich wollte Roger Bannister an diesem Frühlingstag schon gar nicht mehr an den Start gehen, hatte er doch am Vormittag noch gearbeitet, zudem fegte der Wind eigentlich zu stark über die Aschenbahn im Iffley-Road-Stadion, als dass der Lauf über die englische Meile (1609,344 Meter), eine im britisch geprägten Teil der Welt äußerst wichtige Maßeinheit, ein Rekordrennen werden könnte. Als erster Läufer der Welt wollte er unter der 4-Minuten-Marke bleiben, ein unvorstellbar hohes Tempo, das umgerechnet 14,91 Sekunden pro 100 Meter oder aber die Geschwindigkeit von 24,14 Stundenkilometer bedeutet. Bereits die Zwischenzeiten des 24-jährigen angehenden Arztes hatten einen neuen Rekord angekündigt. Als Bannister sich mit schmerzverzerrtem Gesicht und zugekniffenen Augen über die Ziellinie stürzte verkündete der Stadionsprecher kurze Zeit später, „und die Zeit ist drei …“.  Der Rest der Siegerzeit ging im Jubel der vielen Zuschauer unter.

Sub-4-Club für die besten Meilenläufer

Mit 3:59,4 Minuten war die bis dahin größte Schallmauer der Leichtathletik Vergangenheit. Für Sir Roger Bannister, der nur ein Jahr später die Spikes an den Nagel hängte und dessen eigentliche Erfindung, der erste Urintest im Kampf gegen das Anabolika-Doping, kaum Beachtung fand, war es das Rennen seines Lebens. In der britischen Öffentlichkeit hatte man die Jagd nach der Drei-Minuten-Meile wie zuvor Captain Scotts tragisches Rennen zum Südpol oder wie Hillarys und Norgays Attacke auf den Mount Everest verfolgt. Nach diesem Rennen im Mai 1954 wurden alle Mittelstreckenläufer, die die „Bannister Meile“ unter vier Minuten laufen konnten, in den „Sub-4-Club“ aufgenommen.

Vier Siegerländer im „Sub-30-Club“ über 10.000 Meter

Was im angelsächsischen Raum in den 50er und 60er Jahren die Meilenrennen für die Mittelstreckler, waren weltweit die 10.000 Meter im Stadionoval für die Langstreckenläufer. Auf dieser Distanz werden den Langstrecklern mit physischer Stärke wie Ausdauer, Tempohärte und Spurtvermögen und der mentalen Stärke, ein hohes Tempo 25 lange Runden psychisch durchhalten zu können, alles abverlangt. Würde es, wie bei den Meilenläufern den Sub-4-Club, einen „Sub-30-Club“ für die Läufer geben, die die 10.000 Meter unter 30 Minuten gelaufen sind, so würde dieser Laufclub im Kreis Siegen-Wittgenstein nur aus vier Läufern bestehen. Die längste olympische Laufstrecke auf der Rundbahn, 25 Runden in einem Tempo von weniger als 72 Sekunden je 400 Meter, oder aber zehn Mal die 1.000 Meter ohne Unterbrechung unter 3 Minuten zu laufen, das schafften bisher nur Tim-Arne Sidenstein, Ralf Heinbach, Michael Loos und Dieter Müller. An den 10.000-Meter-Lauf ihres Lebens, an ihre ganz persönlichen 6,214 „Bannister-Meilen“, erinnern sie sich auch rund drei Jahrzehnte später noch in allen Einzelheiten.

Walter Hirschhäuser und Walter Sidenstein pirschten sich an die 30er-Marke

Zwei schnelle 10.000-Meter-Läufer aus einer Familie (hier beim 40. Wendener Südsauerlandlauf 2015): Walter Sidenstein lief im Jahre 1980 neuen Siegerlandrekord in 30:13 Minuten, sein Sohn Tim-Arne Sidenstein war 34 Jahre später in 29:03,04 Minuten sogar über eine Minute schneller. ©Foto: Frank Steinseifer

Es waren die Siegerlandrekordhalter Walter Hirschhäuser (EKLG Siegen/30:29,4 min./Bonn 1973), Walter Sidenstein (SF Siegen/30:13 min./Bönen 1980) und Ralf Heinbach (TV Jahn Siegen/30:03,4 min./Troisdorf 1986), die die Bestzeiten im Kreis Siegen-Wittgenstein bereits ganz nahe an die 30-Minuten-Marke herangeführt hatten. Doch als der erste Siegerländer, der die Schallmauer von 30 Minuten durchbrochen hat, geht der gebürtige Geisweider Michael Loos (geb. 1966) in die Sporthistorie ein. Der schlaksige Läufer, der als Schüler für die LG Kindelsberg über 1.000 Meter seine ersten Schritte in der Leichtathletik machte, bis 1988 für die LAG Hüttental (TG Friesen Klafeld-Geisweid), dann zwei Jahre für den TV Wattenscheid und ab 1991 für die damals starke Läufergilde der LAG Siegen startete, galt lange Zeit als das größte Talent auf der Langstrecke. 1987 hatte er als 21-Jähriger seine persönliche Bestmarke über die 25 Stadionrunden bereits auf 30:16,3 heruntergeschraubt, doch ein Jahr später, damals noch im Trikot der LAG Hüttental, trumpfte er dann richtig auf.

Michael Loos erster Siegerländer unter 30 Minuten

Am 1. Juni 1988, beim Abendsportfest des TuS Koblenz im Stadion Oberwerth, das mit vier Welt-, fünf Europa- und elf DLV-Rekorden zu einer wahren Kultstätte der Leichtathletik wurde, lief Loos das bis dato schnellste Rennen eines Siegerländers über 10.000 Meter. „Ich weiß noch, dass ich ziemlich gleichmäßig gelaufen bin. Die Zwischenzeit bei 5.000 Meter lag bei etwa 14:40 Minuten, da deutete sich die neue Bestzeit von unter 30 Minuten ja schon an. Vom Gefühl her bin ich die ganze Zeit am Anschlag gelaufen und erst kurz vor dem Ziel hat mich dann noch Thomas Eickmann (1983 Deutscher Juniorenrekordhalter im Marathon/1986 mit einer Bestzeit von 2:13:24 Stunden) überholt.“ Im Ziel blieben die Uhren bei 29:26,01 Minuten stehen. Es war der erste 29-Minuten-Siegerlandrekord. Loos hatte sich bei dem Rennen total verausgabt, an Party war nach dem Rekord nicht zu denken. „Bei der Rückfahrt über den Westerwald hat Betreuer Harald Süßmann anhalten müssen, weil ich mich übergeben musste. Ich erinnere mich, dass ich die Nacht danach dann nur sehr wenig geschlafen habe…“ 

OP nach Knorpelschaden im Knie im Alter von 17 Jahren

Michael Loos (LAG Siegen) hier bei den 19. Deutschen Crosslauf-Meisterschaften im März 1992 auf der Galopprennbahn in Iffezheim. ©Foto: Frank Steinseifer

Michael Loos ist ein Jahr später in Essen mit 29:25,96 Minuten noch einen Tick schneller gewesen, doch da trug er das Trikot des TV Wattenscheid, somit fand dieses Resultat keinen Eintrag in die Bestenliste des Siegerlandes. Ein knappes Dutzend Mal ist Michael Loos die 10.000 Meter unter 30 Minuten gelaufen, viele gute Rennen auf hohem Niveau absolvierte er ab 1991 für die LAG Siegen. Er hatte das Zeug dazu, in die absolute Deutsche Spitze zu laufen, doch ihn stoppten immer wieder Verletzungsprobleme. Im Alter von 17 Jahren wurde bei ihm ein Knorpelschaden im Knie festgestellt. Nach einer OP in Hellersen im Jahre 1984 waren die größten Beschwerden zwar beseitigt, das Gelenk aber längst nicht wieder „wie neu“. „Immer im Winter, bei Nässe und Kälte hat das Bein Probleme gemacht und wenn ich dann mal mehrere Wochen intensiv trainiert hatte, tauchten die Beschwerden wieder auf“, erinnert sich Michael Loos an die Trainingswochen Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre, in denen er sein Programm von den üblichen 100 auf 140 Kilometer pro Woche gesteigert hatte.

Trainingsunfall im Hofbachstadion mit Folgen: DM-Absage!

An einen ganz besonders tragischen Tag im Sommer 1990 kann sich Michael Loos besonders gut erinnern. „Ich hatte super trainiert, war richtig gut drauf, bin in der Vorbereitung auf die Deutschen Meisterschaften über 10.000 Meter zwei Wochen zuvor die 3.000 Meter voll aus dem Training heraus in 8:07 Minuten gerannt. Am Dienstagabend vor der DM am Wochenende wollte ich im Geisweider Hofbachstadion noch zwei, drei 1.000-Meter-Läufe im Wettkampftempo zur Einstimmung laufen. Als ich beim Warmlaufen auf dem Rasen hinter so einem kleinen Trainingstor herlaufe, schießt ein Jugendkicker den Ball ins Netz, ich bleibe unglücklich mit dem Fuß im Netz hängen und stürze mit dem operierten Knie auf so einen kleinen Gullideckel im Rasen. Ich hatte danach große Schmerzen, selbst Spritzen und die Behandlung von Masseur Hans Stöcker, der damals eigentlich jeden wieder fit gekriegt hat, haben nicht mehr geholfen. Ich musste den Start bei den Deutschen Meisterschaften absagen. Das war echt bitter.“ Loos war sich sicher, eine Zeit von ganz nah an die 29-Minuten-Marke und eine vordere DM-Platzierung in den Beinen gehabt zu haben.

Ralf Heinbach von 1991 bis 1996 der Primus auf der Langstrecke

Ralf Heinbach (LAG Siegen) hier beim international stark besetzten 6. Siegener Citylauf der LAG Siegen um den Krombacher-Cup am 3. Oktober 1996. ©Foto: Frank Steinseifer

Nur drei Jahre sollte der Siegerlandrekord von Michael Loos über 10.000 Meter Bestand haben, dann schnappte ihm der größte Konkurrent auf der Langstrecke im heimischen Raum, mit dem er 1989 gemeinsam beim TV Wattenscheid und ab Herbst 1990 gemeinsam für die LAG Siegen startete, die Bestmarke wieder ab. Es war der Dreis-Tiefenbacher Ralf Heinbach (geb. 1964), dessen Rekord Loos im Jahr 1988 unterboten hatte, der nun von Jahr zu Jahr stärker wurde und bis zu seinem Leistungssportende 1996 die Distanzen oberhalb von 1.500 Meter beherrschte. Ralf Heinbach begann 1975 im Alter von elf Jahren beim TV Eckmannshausen mit dem Laufsport und hatte binnen weniger Jahre durch Trainingsfleiß und viel Talent eine steile Leistungsentwicklung hingelegt: 1978 wurde Heinbach Deutscher Vizemeister der A-Schüler über 2.000 Meter in 5:57,4 Minuten, als 15-Jähriger lief er in Dortmund die 5.000 Meter in beachtlichen 15:49,4 Minuten. 1980 wechselte er zum TV Jahn Siegen und ein Jahr später zählte er mit Zeiten von 8:36 Minuten über 3.000 Meter und 31:32 Minuten über 10.000 Meter zu den besten B-Jugendlichen Deutschlands.

Bilderbuchrennen an Himmelfahrt 1991 – Heinbach und Müller unter 30 Minuten

Der erste Anlauf, sich den im Jahre 1986 an Michael Loos verlorenen Siegerlandrekord zurückzuholen, scheiterte 1990 bei einem Sportfest in Wipperfürth. „Michael und ich waren gemeinsam in dem 10.000-Meter-Rennen. Im Ziel lag ich ganz knapp mit drei Sekunden vor ihm, aber mit der Zeit von 29:28 Minuten hatte ich das Ziel, mir den Rekord zurückzuholen, um winzige zwei Sekunden verpasst“, erinnert sich Ralf Heinbach an das Aufeinandertreffen mit Michael Loos. Kurze Zeit später streiften die beiden Rückkehrer vom TV Wattenscheid das Trikot der LAG Siegen über und wurden so wieder zu Vereinskollegen. Bei dem für die heimische Leichtathletik bedeutungsvollen 10.000-Meter-Rennen am 9. Mai 1991, beim Christi-Himmelfahrt-Sportfest des TuS rrh. Köln im Sportpark Höhenberg, fehlte Michael Loos – von der LAG Siegen waren aber Ralf Heinbach und Dieter Müller am Start. „Ich wollte mir an diesem Tag unbedingt den Siegerlandrekord zurückholen. Die Bedingungen waren fast wie aus dem Bilderbuch. Windstill, ein Hase der fürs Tempo sorgte, von 100 Rennen gibt es nur ein Mal so einen Wettkampf, bei dem alles stimmt“, erinnert sich Ralf Heinbach.

Dieter Müller: „Es war das Rennen meines Lebens“

Für Dieter Müller, der erst mit 23 Jahren zum Laufsport kam und bis 1996 für den TV Niederschelden/LAG Siegen startete, wurden diese 10.000 Meter wie er selbst sagt, „zum Rennen meines Lebens. Noch heute, fast 30 Jahre später, sprechen ihn die Leute auf diese Leistung an. „Viele Wettkampfläufer kennen das ja, vor dem Start fühlt man sich oft schlapp, angespannt, ja sogar ein bisschen elend. An diesem Tag war das bei mir ganz anders. Schon beim Warmlaufen habe ich gespürt, heute ist mein Tag, das wird mein Rennen. Ich war sowas von locker und gut drauf. Es waren ideale Bedingungen an diesem kühlen Frühsommerabend, das Flutlicht war nicht viel mehr als Funzellicht, aber die Leute standen im Stadion dicht gedrängt bis auf die zweite Bahn und sorgten für eine tolle Stimmung,“ erinnert sich Dieter Müller an den größten Lauf seiner Karriere.

Heinbach holt sich den 1988 verlorenen Kreisrekord wieder zurück

Nach dem Start lief Ralf Heinbach die ganze Zeit in der Spitzengruppe hinter dem „Hasen“ Thomas Marx und Lokalmatador Robert Krämer. Es war ein verdammt flottes Tempo. „Die ersten 5.000 Meter bin ich in exakt 14:32 Minuten angelaufen, da lagen wir noch auf Kurs von einer Zeit von 29 Minuten und hatten sogar noch eine 28er-Endzeit im Blick“, erinnert sich Ralf Heinbach. Doch nachdem der Tempohase bei Kilometer sechs ausgestiegen war und niemand in der Spitzengruppe das Tempo machen wollte, wurde die Pace unrhythmisch, die Sekunden rannen dahin und es entwickelte sich ein typisches Ziehharmonika-Rennen. Im Endspurt setzte sich dann der Heidelberger Hindernisspezialist Engelbert Franz als Sieger durch, Ralf Heinbach im Trikot der LAG Siegen wurde Zweiter in neuer persönlicher Bestzeit von 29:17,38 Minuten. „Ich hatte ein lachendes und ein weinendes Auge“, blickt Heinbach zurück auf das beste 10.000-Meter-Rennen seines Läuferlebens, „ich hatte mir zwar den Siegerlandrekord zurückgeholt, doch an diesem Abend war tatsächlich eine Zeit von unter 29 Minuten für mich drin gewesen“.

Müllers überraschender Coup unter 30 Minuten: „Ich fühlte mich super“

Dieter Müller (LAG Siegen) – hier bei den 19. Deutschen Crosslauf-Meisterschaften im März 1992 auf der Galopprennbahn in Iffezheim. ©Foto: Frank Steinseifer

War die Leistung von Heinbach im Vorfeld des Rennens schon absehbar, so sorgte sein LAG-Teamkollege Dieter Müller für die eigentliche Überraschung. „Ich hatte eine gute Gruppe hinter der Spitze erwischt, wir liefen konstante 72er Runden, ich fühlte mich super und je länger das Rennen lief, desto größer wurde die Wahrscheinlichkeit, dass es diesmal mit einer Zeit von unter 30 Minuten endlich klappen würde.“ In fünf vorangegangenen Rennen war Müller, der in dieser Zeit im TV Niederschelden von Rolf-Peter und Ellen Hees („das Sprinttraining mit Ellen hat mir die Qualitäten für den Endspurt gebracht“), an der Schallmauer gescheitert – an diesem Abend sollte es jedoch klappen: Dieter Müller lief als Siebter (!) in neuer Bestzeit von 29:51,89 Minuten über die Ziellinie. Eines hatten die beiden Langstreckler gemeinsam: Nie mehr waren sie über 10.000-Meter schneller als an diesem Abend des 9. Mai 1991. Mit Ralf Heinbach, Michael Loos und Dieter Müller war die LAG Siegen 1991 der einzige Verein in Deutschland mit drei Läufern unter 30 Minuten.

Heinbach: Sechs Jahre lang unter 30 Minuten geblieben

Bis heute hält Ralf Heinbach, der seit 2002 in Mittelhessen lebt (seit 2013 in Langgöns-Espa/Kreis Gießen) und seit 2005 eine Laufschule betreibt (dauerlauf-mittelhessen.de), etliche Siegerlandrekorde (3.000 Meter: 8:05,07 min.; 5.000 Meter: 14:03,21 min.; 10.000 Meter: 29:17,38 min.; Halbmarathon: 1:05:21 Stunden).  Seit 1990 ist er sechs Jahre lang bei allen Meisterschaftsrennen über 10.000 Meter unter der 30-Minuten-Schallmauer geblieben – zu seiner Lieblingsdisziplin wurden die 25 Stadionrunden jedoch nie. „Ich bin eigentlich kein Bahnläufer gewesen. Meine schönsten Lauferlebnisse hatte ich bei Cityläufen, mit vielen Zuschauern und toller Stimmung an der Strecke, da konnte ich viel eher an meine Reserven gehen.“

Sidensteins erste 10.000-Meter-Erfahrung: „Ein grauenhaftes Rennen“

Als Ralf Heinbach an der 29-Minuten-Marke kratzte – war der viele Jahre später noch ein wenig schnellere Siegerländer 10.000-Meter-Läufer gerade Mal zwei Jahre alt. Der Wilnsdorf-Obersdorfer Tim-Arne Sidenstein (geb. 1989), Sohn des ehemaligen Siegerlandrekordhalters Walter Sidenstein, fand mit seinen starken Laufleistungen jedoch keinen Eintrag in die Siegerländer Bestenliste, da er nach seinen Anfängen als Schüler bei der LAG Siegen und als B-Jugendlicher beim ASC Weißbachtal seit August 2007 im Trikot der SG Wenden startet und somit in den Bestenlisten des Kreises Olpe geführt wird. Mit insgesamt 61 Westdeutschen- und Westfälischen Meistertiteln, dazu vier Deutschen Meistertiteln mit der Mannschaft der SG Wenden, zählt er zu den erfolgreichsten Langstreckenläufern Südwestfalens. Für die 25-Runden-Distanz auf der Bahn konnte sich der Obersdorfer zunächst nicht richtig erwärmen: Das erste Mal lief er die 10.000 Meter 2011 bei der Deutschen Meisterschaft der U23 in Essen. Völlig enttäuscht belegte er in 31:24 Minuten den sechsten Platz. „Ein grauenhaftes Rennen, ich wollte deutlich schneller sein“, beschreibt Tim-Arne Sidenstein den „schwarzen Tag“. Ein Jahr später lief er bei den Deutschen Meisterschaften über 10.000 Meter erneut auf den 6. Platz, doch mit seiner Zeit von 29:52,31 Minuten war er diesmal rundum zufrieden.

Alle Vorzeichen sprachen gegen eine neue Rekordzeit

Tim-Arne Sidenstein im Sommer 2015 beim 21. Molzbergstadionlauf der LG Sieg über 5.000 Meter. ©Foto: Frank Steinseifer

Das Jahr 2014 sollte für den damals 26-jährigen drahtig und großen Läufer mit den Idealmaßen für die Langstrecke das beste seiner kurzen, aber sehr erfolgreichen Sportkarriere werden: die 3.000 Meter verbesserte er auf 8:22 Minuten, die 5.000 Meter auf 14:12,54 Minuten. Das „Rennen seines Lebens“ sollten jedoch die Deutschen Meisterschaften über 10.000 Meter am 3. Mai 2014 in Aichach/Bayern werden. Dabei stand das Rennen unter keinen guten Vorzeichen. Sidenstein: „Es war eigentlich ein Wochenende zum Vergessen. Wir hatten am Tag zuvor eine schlechte Anreise mit viel Stau, die Nacht danach habe ich total schlecht geschlafen, ich fühlte mich unausgeruht, hatte sogar leichte Zahnschmerzen. Ich habe dann am Morgen des Wettkampfs drei Kilometer angetestet. Ich hatte total schwere Beine und bei mir gedacht, eigentlich brauchst du gar nicht zu starten, das gibt nix.“ Die äußeren Bedingungen waren mit 5 Grad und Regen ebenfalls nicht optimal, dann wurde auch der Start nochmal verschoben. Alles sprach gegen ein Top-Rennen, doch es wurde wider Erwarten ein hochkarätiger Lauf.

Zu hohes Tempo – Trainer Egon Bröcher packte die Panik

Das Rennen war für Sidenstein eigentlich von Beginn an viel schneller als es der Tempoplan von Trainer Egon Bröcher vorgesehen hatte. „Egon war nach dem ersten Kilometer in 2:54 Minuten noch ruhig. Bei 2000 und 3000 Meter wurde er dann aber so langsam panisch, dass das zu schnell sei. Mein Vater, der ganz überraschend zum Rennen nach Bayern runtergekommen war, rief mir dann Minus 20 Sekunden auf die Endzeit von 30 Minuten zu. Ich wusste, dass das Tempo zu schnell war, wollte aber in der Läufergruppe drinbleiben. Als ich die 5.000 Meter-Durchgangszeit von 14:32 Minuten hörte, hab ich mich erstmals gefragt, was machst du hier eigentlich? Bei 7.000 Metern habe ich es dann langsam mit der Angst zu tun bekommen, ich konnte die Zwischenzeiten gar nicht mehr zuordnen, Egon hatte aufgehört mich zu bremsen, mein Vater rief mir schon gar keine Zeiten mehr zu. An die letzten zwei Runden kann ich mich gar nicht mehr erinnern, da war ich wie in einem Tunnel. Ich weiß nur noch, dass mich Stefan Brockfeld und Matthias Kraft vom TuS Deuz als Zuschauer angefeuert und nach vorne gepusht haben.“

Stefan Brockfeld als begeisterter Zuschauer: „Ein geiles Rennen…!“

An die Schlussphase des Rennens erinnert sich Stefan Brockfeld, der mit etlichen Siegerländern zur DM als Zuschauer angereist war, als wäre es erst gestern gewesen: „Das war ein geiles Rennen! Auf der vorletzten Runde hab ich ihm zugerufen: Tim, das wird eine ganz tiefe…“ und da verschlug es mir die Sprache, weil ich so aufgeregt war.“

Tim-Arne Sidenstein bester Siegerländer: Olper Kreisrekord in 29:03,4 Minuten

Kopf an Kopf behakte sich Sidenstein auf den letzten zwei Runden im Zweikampf mit Nico Sonnenberg. „Ich bin die letzten 800 Meter unter 2:00 Minuten gerannt. Im Ziel lag ich dann völlig fertig am Boden und war total enttäuscht. Um ein paar Zehntelsekunden an der Bronzemedaille vorbei, das war bitter.“ Doch dann kam Trainer Egon Bröcher total außer sich angerannt: „Weißt du eigentlich, was du für eine Zeit gelaufen bist? 29:03,05 Minuten!“ Jetzt erst realisierte der Obersdorfer, was ihm da gerade gelungen war: „Das war Wahnsinn, die Enttäuschung über die Platzierung war sofort wieder weg.“ Es war eines der schnellsten Rennen um die Deutsche Meisterschaft seit langer Zeit, insgesamt 13 Läufer blieben unter der 30-Minuten-Marke, Deutscher Meister wurde Richard Ringer (VfB LC Friedrichshafen) in 28:28,96 Minuten. Ein Jahr zuvor wäre Tim-Arne Sidenstein mit seiner Laufzeit Deutscher Meister geworden.

Knieverletzung und Radsturz stoppten Karriere

Der Obersdorfer Tim-Arne Sidenstein beim 16. Föschber Radweglauf in Niederfischbach 2018. Als bisheriger Streckenrekordinhaber in 31:11 Minuten (2013) lief er nach langer Verletzungspause wieder bei einem Straßenrennen. Erst seit Dezember 2017 ist der Langstreckler im Trikot der SG Wenden wieder im Training. Danach wurde er erneut durch Verletzungen und einen Fahrradsturz gestoppt. ©Foto: Frank Steinseifer

Im Jahr danach folgte eine langwierige Knieverletzung, wieder mitten im Aufbautraining stoppte ein schwerer Mountainbike-Unfall am 3. Oktober 2019 mit einem doppelten Hüftbruch die Fortsetzung seiner Laufkarriere. Nach 120 Tagen ohne Laufen, Heben und Springen ist er nun wieder genesen. „Ich mache wieder täglich Sport, meist fünf Mal die Woche Laufen, zwei Mal Radfahren, je nach Gefühl.“ In wenigen Wochen wird er 31 Jahre alt – eigentlich das beste Langstreckenalter und noch viel zu jung, um den Leistungssport an den Nagel zu hängen. „Für mich war der Sport immer ein Hobby. Es war für mich nie eine Option, Profisportler zu werden, das hat nicht in meinen Lebensplan gepasst. Mein Beruf hat ganz klar Priorität.“ Sidenstein hat bei der Confiserie Heimann in Neunkirchen seine Ausbildung zum Konditor absolviert, wechselte 2009 zum Schweizer Chocolatier Läderach in Dillenburg, ist seit Mai 2015 als Teamleiter Produktentwicklung bei Griesson-de Beukelaer  in Mayen beruflich stark eingespannt und hat 2016 zusätzlich ein Duales Studium an der Fernhochschule SRH Riedlingen aufgenommen. Da bleibt künftig keine Zeit, um zehn Mal pro Woche intensiv Hochleistungssport zu betreiben. „Man soll ja niemals nie sagen. Vielleicht geht in den nächsten Jahren noch was. Der Marathon würde mich noch reizen, doch ich weiß ja auch, was dafür an Trainingsaufwand notwendig wäre.“

Hans-Jürgen Ortmann Schnellster in der Region mit 28:02,92 Minuten

Hans-Jürgen Orthmann beim Straßenlauf in Mudersbach 1994. „Sehne“ Orthmann war kurze Zeit zuvor noch als Schiedsrichter auf dem Fußballplatz – da blieb dann keine Zeit mehr zum Umkleiden. Schnell die Schuhe gewechselt, Startnummer aufs Schiridress und dann an den Start. ©Foto: Frank Steinseifer

Ein heimischer Läufer fehlt in der Geschichte der besten Siegerländer über 10.000 Meter: Der Jugend-Weltrekordler über 3.000 Meter von 1972 (8:06,8 Minuten), 22-fache Deutsche Meister und Vize-Cross-Weltmeister von Paris 1980, Hans-Jürgen Orthmann, war mit 28:02,92 Minuten, gelaufen im Aachener Waldstadion am 29. Mai 1985, der mit Abstand schnellste 10.000-Meter-Läufer der Region. Doch die „Sehne“, wie er in der Laufszene aufgrund seiner hageren Statur mit 60 Kilogramm Körpergewicht bei einer Größe von 1,90 Meter genannt wurde, ist im ehemaligen Pumpenhaus oberhalb des Rosengartensportplatzes in Niederschelderhütte und damit nur einen Steinwurf weit hinter der NRW-Landesgrenze in Rheinland-Pfalz geboren – zudem startete er für den VfL Wehbach, die LG Sieg, die SG Betzdorf und für den von ihm selbst gegründeten Verein Zugzwang Wehbach und damit stets für Vereine in Rheinlandpfalz.

Triathlet Jonas Hoffmann klopft künftig beim „Sub-30-Club“ an

Jonas Hoffmann – hier beim 25. Molzbergstadionlauf über 5.000 Meter 2019 – ist nach über 20 Jahren derzeit der einzige Athlet aus dem Kreis-Siegen-Wittgenstein, der die 30-Minuten-Marke über 10.000 Meter knacken könnte. Der bei Laufwettkämpfen für die SG Wenden startende Triathlet aus Hilchenbach-Hadem schrammte im 10-Kilometer-Straßenlauf in 30:11 Minuten bereits knapp an der Schallmauer vorbei. ©Foto: Frank Steinseifer

In den „Club Sub 30“ könnte nach Tim-Arne Sidenstein, Ralf Heinbach, Michael Loos und Dieter Müller in naher Zukunft ein vierter Läufer aufgenommen werden. Triathlet Jonas Hoffmann aus Hilchenbach-Hadem, lief im vergangenen Herbst bei den Deutschen Straßenlauf-Meisterschaften über 10 Kilometer 30:11 Minuten. Er hat derzeit als einziger Läufer des Siegerlandes das Zeug dazu, in einem 10.000-Meter-Bahnrennen die begehrte 30-Minuten-Schallmauer zu durchbrechen.

10.000 Meter – Daten und Fakten 

  • Die längste Olympische Laufdisziplin im Stadion geht über insgesamt 25 Runde zu je 400 Meter.
  • Die weltweit erste registrierte 10.000-Meter-Bestzeit stammt aus dem Jahre 1847 und wurde als Zwischenzeit eines 10-Meilen-Laufes (10.186 Meter) ermittelt. Der Brite William Jackson lief in Peckham/London die 25 Stadionrunden in 32:35 Minuten.
  • Die erste Zeit unter 30 Minuten erzielte im Jahre 1939 der Finne Taisto Mäki in 29:52,6 Minuten.
  • Die Weltrekorde: Die schnellste Zeit lief der Äthiopier Kenenisa Bekele in 26:17,54 Minuten am 26. August 2005 in Brüssel – bisher schnellste Läuferin aller Zeiten ist die Äthiopierin Almaz Ayana in 29:17,45 Minuten (2016). In den Top-Ten sind bei den Männern drei Äthiopier und drei Kenianer – bei den Frauen ist Äthiopien mit sechs Läuferinnen unter den ersten Zehn klar tonangebend.
  • Deutsche Rekorde: Bei den Männern hält Dieter Baumann mit 27:21,53 Minuten (1997)  die Bestzeit – schnellste Deutsche Läuferin aller Zeiten war bisher Kathrin Ullrich in 31:03,62 Minuten (1991).
  • Schnellster Siegerländer aller Zeiten ist der Obersdorfer Tim-Arne Sidenstein von der SG Wenden. Der gebürtige Siegener lief seine Bestzeit bei den Deutschen Meisterschaften am 4. Mai 2014 in Aichach wenige Tage vor seinem 25. Geburtstag in 29:03,05 Minuten (4. DM-Platz). Damit hält er auch den Rekord im Kreis Olpe.
  • Schnellste Siegerländerin über die 25 Stadionrunden ist Sabrina Mockenhaupt. Die gebürtige Wilgersdorferin – die für die LG Sieg, den Kölner Verein für Marathon und für das LT Haspa Marathon Hamburg startete – lief bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 in 31:14,21 Minuten ihre Bestzeit und war damit nur etwas mehr als zehn Sekunden langsamer als der Deutsche Frauenrekord.
  • Siegerlandrekordhalter im FLVW-Kreis Siegen-Wittgenstein ist der aus Dreis-Tiefenbach stammende Ralf Heinbach. Der Langstreckler der LAG Siegen lief am 9. Mai 1991 beim Christi-Himmelfahrt-Sportfest des TuS rrh. Köln im Sportpark Höhenberg  29:17,38 Minuten. Heinbach lief die 10.000 Meter als B-Jugendlicher bereits in 31:32 Minuten; seit 1990 ist er sechs Jahre lang bei allen Meisterschaftsrennen über 10.000 Meter unter der 30-Minuten-Schallmauer geblieben.
  • Siegerlandrekordhalterin im Kreis Siegen-Wittgenstein ist die Eiserfelderin Sabine Menn (heute Hausstein). Im Trikot des TV Niederschelden lief die damals 25-Jährige am 21. April 1985 die heute noch gültige Bestzeit von 35:31,13 Minuten.
  • Erster Siegerländer unter 30 Minuten war der Geisweider Michael Loos. Im Alter von 22 Jahren blieb der Langstreckler im Trikot der TG Friesen (LAG Hüttental) am 1. Juni 1988 bei einem Abendsportfest in Koblenz in 29:26,01 Minuten erstmals unter der Schallmauer und löschte den bestehenden Rekord seines Vereinskollegen Ralf Heinbach, der bis dato in 30:03,4 Minuten (1986) die Bestmarke im Siegerland hielt.
  • Die schnellste Familie über 10.000 Meter im Siegerland sind die Sidensteins aus Wilnsdorf-Obersdorf: Vater Walter Sidenstein legte Anfang der 80er Jahre 30:13 Minuten vor, es folgte der zweitälteste Sohn Tim-Arne mit 29:03,05 Minuten und 2015 lief der älteste Sohn Sven-Christian bei den NRW-Meisterschaften 31:52,23 Minute. Das ergibt einen Familienschnitt von beachtlichen 30:23 Minuten.

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