Mit Astronautenkost und grünem Tee zum 100-Kilometer-Rekord

Werner Stöcker (LG Wittgenstein) lief bei den Deutschen Meisterschaften über 100 Kilometer in Ubstadt-Weiher zum Titel und zum neuen M80-Rekord. Archivfoto: Frank Steinseifer

Ubstadt-Weiher/Erndtebrück. Er läuft, und läuft, und läuft. Zahlreiche Titel und Rekorde hat Senior Werner Stöcker bereits gefeiert, jetzt hat der Langstreckenläufer aus Erndtebrück bei den Deutschen Meisterschaften über 100 Kilometer in der Altersklasse M80 wieder „Gold“ geholt und dabei erneut einen Deutschen Rekord für seine Altersklasse aufgestellt.

Erfolgsformel von Werner Stöcker: Jedes Jahr älter – jedes Jahr schneller

Der Mann ist ein echtes Phänomen. Werner Stöcker scheint die Gesetzmäßigkeiten des Alterns außer Kraft setzen zu können. Das Langlaufwunder aus Erndtebrück wird im November 83 Jahre alt, dennoch läuft er vielen, die seine Söhne oder gar Enkel sein könnten, auf und davon – und Gleichaltrige haben in Deutschland schon gar keine Chance, an ihm vorbeizuziehen. Für das Leichtgewicht mit den Stelzenbeinen eines Langstreckenläufers aus Kenia ist der Marathonlauf nur eine Sprintdistanz. Erst wenn es über Strecken von 50, 100 Kilometer, oder über 24 Stunden geht, kommt der Senior mit Jahrgang 1939 so richtig auf Touren. Jetzt hat Werner Stöcker seine lange Liste an Erfolgen um einen weiteren Deutschen Meistertitel verlängert. Bei den Deutschen Meisterschaften im 100-Kilometer-Lauf in Ubstadt-Weiher gewann Stöcker bei äußerst widrigen Bedingungen in 11:52:21 Stunden den Seniorentitel in der Altersklasse M80 und verbesserte damit seinen eigenen Rekord um erstaunliche 14:38 Minuten! 2019 hatte Stöcker in Kandel die neue Bestmarke auf 12:14:53 Stunden gesetzt, 2021 in Bernau auf 12:06:59 Stunden verbessert – jetzt blieb er in Ubstadt-Weiher sogar unter der 12-Stunden-Marke. Stöckers kurze Erfolgsformel scheint zu lauten: Jedes Jahr älter, jedes Jahr ein bisschen schneller.

„Normale“ Laufschuhe mit geringem Gewicht statt schneller Carbon-Schlappen

Wieder hatte der Läufer im Trikot der LG Wittgenstein und mit Stammverein TuS Erndtebrück nichts dem Zufall überlassen. Bereits zwei Tage vor dem Wettkampf war Stöcker mit seiner Frau Ingeborg zur Unterstützung angereist. „Am Freitag hat es wie aus Eimern geschüttet. In der Nacht vor dem Wettkampf gab es dann noch 5 Zentimeter Schnee dazu, da hab ich kurz gedacht, das gibt nix“, so Werner Stöcker. Zum Start um 7 Uhr am Samstagmorgen war er dann wieder hochmotiviert, obwohl die Voraussetzungen alles andere als optimal waren: Die Themperaturen lagen nur knapp über dem Gefrierpunkt, dazu machte ein eisiger, böiger Wind zunächst die Kleiderwahl und dann später das Rennen für die Läufer schwer. Die Strecke führte um den Hardtsee in Ubstadt-Weiher südlich von Heidelberg, 20 Runden zu je 5 Kilometer hatten die Ultraläufer zu bewältigen. Stöcker kannte die Strecke bereits vom 50-Kilometer-Rennen an gleicher Stelle sechs Wochen zuvor. Er setzte erneut auf bewährtes Material. Zwar hatte er im Vorfeld mal ein Paar der pfeilschnellen Carbonschuhe getestet, doch wieder waren es seine klassischen leichten Laufschuhe der Firma ASICS Model DS Trainer denen er den Vorzug gab.

Stöcker hörte auf den Rat eines Japaners

Nicht nur die Schuh- und Kleiderwahl spielen bei einem Lauf über rund 12 Stunden eine große Rolle, auch die Art der Wettkampfverpflegung entscheidet über Erfolg oder Misserfolg. „Der Veranstalter hatte sich viel Mühe gemacht und uns Läufern alles angeboten. Sogar Datteln. Ich habe aber einen sehr empfindlichen Magen und vertrage nicht alles im Wettkampf. Feste Nahrung während des Rennens geht gar nicht. Früher habe ich es immer mit verschiedenen Getränken versucht. Mit Wasser, dann Cola und wieder Wasser, da habe ich immer Durchfälle gehabt. Ein Läufer aus Japan hat mir dann gesagt, du trinkst viel zu viel und zu viel durcheinander. Jetzt folge ich seinem Rat und trinke warmen, grünen Tee, mit ordentlich Zucker. Etwa zweieinhalb Liter über 100 Kilometer. Diesmal habe ich noch diese Astronautenkost in flüssiger Form mit viel Kalorien getrunken, das hat wunderbar funktioniert“, erklärt Stöcker.

Stöcker an der Marathonmarke 15 Minuten schneller als der Deutsche M80-Meister

Auch das Rennen lief trotz der Wetterbedingungen fast genau nach Plan. „Ich wollte diesmal nicht so schnell angehen und verhalten beginnen.“ 62 Minuten für die ersten 10 Kilometer, es folgten 10-Kilometer-Splits von 63 bis 65 Minuten und die Marathonmarke passierte er nach vier Stunden und 29 Minuten. Nur so zum Vergleich: Der Deutsche Seniorenmeister der Klasse M80 war vor einer Woche bei der DM in Hannover rund eine Viertelstunde langsamer als Stöcker nach 42,195 Kilometern. Doch der Wittgensteiner hatte an dieser Stelle des Rennens noch fast 60 Kilometer zu absolvieren. Ab Kilometer 60 wurde er dann doch ein wenig langsamer, die 5-Kilometer-Runden folgten zunächst in 36 Minuten bis 38 Minuten, auf den letzten 20 Kilometern lief er pro Runde noch etwa 41 Minuten. „Ich bin die ganzen 100 Kilometer durchgelaufen, ohne längere Gehpausen. Lediglich ab Kilometer 70 bin ich bei der Getränkeaufnahme kurz stehen geblieben.“ Das Ziel erreichte er dann in der neuen M80-Rekordzeit von 11:52:21 Stunden. Für alle Langstreckenläufer, die jetzt anfangen zu rechnen: Der 82-Jährige ist einen Durchschnitt von 7:07 Minuten pro Kilometer gelaufen!

„Laufen soll ja Spaß machen.“

Werner Stöcker, 82-jähriger Ultraläufer des TuS Erndtebrück

In der Vorbereitung auf die Ultraläufe ist der Erndtebrücker ein Minimalist. Nur etwa 40 bis 50 Kilometer trainiert er pro Woche. Sein einziger langer Lauf ging diesmal über 37 Kilometer an der Breitenbachtalsperre. „Andere Ultraläufer machen im Training auch mal 50 Kilometer-Läufe. Vielleicht sollte ich die auch mal einbauen, denn sonst fehlt es hintenraus bei den langen Wettkämpfen. Aber mir ist das meist doch zu langweilig, so lange alleine zu laufen. Laufen soll ja Spaß machen.“

Weitere Titel und Rekorde im Visier

Die DM über 100 Kilometer war für Werner Stöcker nur der Auftakt einer Reihe von weiteren Ultraläufen in diesem Jahr. Zunächst stehen am 1. Mai die Deutschen Ultramarathon Meisterschaften über 50 Kilometer in Wolfenbüttel auf dem Plan. Dort will er den Weltrekord angreifen, der aktuell bei 53,948 Kilometer steht. „Ich bin ja jetzt schon bei der 100-Kilometer-DM in sechs Stunden nach 56 Kilometer durchgegangen“, so Stöcker. Am 14./15. Mai folgen die Deutschen Meisterschaften im 24-Stunden-Lauf in Bottrop, für den 22. Mai sind die Deutschen Meisterschaften der DUV über 6 Stunden terminiert. Zu einem herausragenden Ereignis könnten die 100-Kilometer-Weltmeisterschaften der International Association of Ultrarunners (IAU) am 27. August 2022 in Berlin/Bernau werden.

Noch immer kein Eintrag in der DLV-Statistik

Ein Kommunikationsproblem scheint es indes mit den Statistikern des Deutschen Leichtathletik-Verbandes zu geben. So hatte Werner Stöcker bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass sein 24-Stunden-Rekord in der Altersklasse M80 immer noch nicht offiziell gelistet ist. So führt die DLV-Statistik (Stand 31.12.2021) über diese Strecke immer noch die Leistung von Horst Feiler (LG Nienburg) aus dem Jahre 2003 mit 127,792 Kilometer auf. Werner Stöcker ist aber bereits 2019 in Bottrop (131,450 km) und 2020 in Bernau bei Berlin (144,594 km) deutlich weiter gelaufen.

Meistertitel und Rekorde in der AK M80

2022 Deutscher Meister und M80-Rekord 100 KM – 11:52:21 Std.
2021 Deutscher Meister und M80-Rekord 100 KM – 12:07:03 Std.
2020 Deutscher Meister/M80-Rekord im 24-Stunden-Lauf – 144,594 km
2019 Deutscher Meister/M80-Rekord im 24 Stunden-Lauf – 131,450 km
2019 Deutscher Meister/M80-Seniorenrekord 6-Stunden-Lauf – 58,661 km
2019 Platz 2 Weltjahresbestleistung über 50 km in 5:11:59 Stunden

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